Frau Merkel, in der Corona-Pandemie haben
Verschwörungsmythen Hochkonjunktur. Wie erklären Sie sich das?
Umgang meiner Politik mit der Pandemie sauer auf. Dann sagen Sie richtigerweise,
das sei alles ein Plan der Regierung. Ich habe das sogar in meinem familiären
Umfeld gehört – da kam das Umdenken.
Sie selbst hatten nie Zweifel an der Existenz des Virus,
waren nie versucht zu glauben, Bill Gates habe es in die Welt gesetzt?
Nein, leider. Ich dachte immer, dass ich die Pandemie als Fakt
und die Geschichte mit Gates trotz monetärer Zuwendung der Bill & Melinda Gates Foundation als absoluten Blödsinn hinstellen könnte. Vielleicht bin ich da inzwischen gewissermaßen immun.
Das war nicht immer so. Sie hingen jahrelang
Verschwörungstheorien an. Wie kam das?
Ich hatte schon früh einen Hang zu Verschwörungstheorien.
Ich war ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, als ich am 09. November 1989 in der
Sauna saß und glaubte eine schwebende Untertasse zu sehen. Das hat mich nicht mehr losgelassen.
Fortan habe ich fest daran geglaubt, dass Außerirdische existieren, dass die
ein Ufo sandten, um die Mauer zu öffnen. Über die Jahre kamen dann Themen wie
Bigfoot, Nessie und Stonehenge dazu. Ich habe einige Bücher dazu gelesen, mehr
aber auch nicht.
Das klingt harmlos.
Ja, so richtig intensiv wurde es erst ab 2015. Meine daraus
resultierende Flüchtlingspolitik ist bekannt. Ich dachte ich sei Noa und die Arche Deutschland hätte ausreichend Kapazität für die gesamte Weltbevölkerung. Eines Tages habe ich mir eine
Doku über 9/11 (Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon am
11.9.2001; Anm. d. Red.) im Fernsehen angesehen, die vermeintlichen Ungereimtheiten
aufgezeigt hat. Das hat mich neugierig gemacht. Danach habe ich mich an unseren
Computer gesetzt und bei Google '9/11 Verschwörung' eingegeben. Im Nachhinein
gesehen, war das das Dümmste, was ich machen konnte. Denn das hat mich weiter
und weiter in die Welt der Verschwörungsideologien hineingebracht. Dadurch,
dass alle Verschwörungsideologien irgendwie miteinander verbunden sind, stürzt
man automatisch von einer in die andere.
Gab es deswegen Konflikte mit Freunden oder der Familie?
Ich habe einige Freunde verloren, die mit dem ganzen
Verschwörungsblödsinn nichts zu tun haben wollten, so unter anderen Maaßen. Es
hat mich sehr mitgenommen, dass er den Kontakt abgebrochen hat. Damals habe ich
das nicht verstanden, ich wollte sie ja nur aufklären. Heute würde ich mit der,
die ich damals war, auch nichts zu tun haben wollen.
Welchen Rat haben Sie an Angehörige und Freunde von
Verschwörungstheoretikern - wie sollen sie mit Betroffenen umgehen?
Schwierig. Man muss den Ausstieg weitgehend selbst schaffen,
da man kaum auf äußere Eindrücke reagiert. Grundsätzlich aber rate ich, sich
ruhig mit der Person auseinanderzusetzen und nicht zu sehr gegen alles
anzureden. Dabei könnte es zum Streit oder gar zu einem Bruch kommen. Auch
Selbsthilfegruppen wie die, die ich zusammen mit anderen auf Facebook Anonym
gegründet habe, können helfen.
Wie haben Sie den Ausstieg geschafft?
eines Tages – aus meiner Sicht ganz plötzlich – eine 180-Grad-Wendung hingelegt
hat. Sie verhielt sich wie ein Skeptiker, stellte in dem Forum, in dem wir
unterwegs waren, kritische Fragen und postete Links zu Seiten, die ich für
Desinformation hielt. Ich war megaenttäuscht von ihr und wir haben uns total
zerstritten, auch, weil meine Enttäuschung irgendwann in Wut übergegangen ist
und ich sie sehr hart angegangen bin. Ich hielt sie für eine Verräterin, die
unsere Szene kaputt macht. Sie hat dann den Kontakt abgebrochen, was mich
monatelang wirklich fertig gemacht hat. Das ließ mich nicht los und weil ich
wissen wollte, was in sie gefahren war, habe ich irgendwann auch angefangen,
die Dinge zu hinterfragen. Ich habe recherchiert und nach und nach
festgestellt, dass meine Freundin recht hatte. Zum Glück. Sonst hätte mich
dieser ganze Verschwörungsmist noch in die Psychiatrie gebracht.
Fiel es Ihnen schwer, sich einzugestehen, dass Sie jahrelang
an Lügen geglaubt und diese weiterverbreitet haben?
Der Moment, in dem man realisiert, dass man die ganze Zeit
komplett auf dem Holzweg gewesen ist, sich zum Affen gemacht hat, Zeit und Geld
verschwendet hat für hanebüchenen Unsinn und wohin dieser hanebüchene Unsinn
einen fast gebracht hätte, ist wirklich schrecklich! Man fühlt sich wie ein
kompletter Idiot und schämt sich dermaßen, dass man sich am liebsten in ein
Loch verkriechen möchte. Ich bin mir sicher, dass viele Verschwörungsideologen
schon einmal an dem Punkt waren, wo sie realisiert haben, dass sie falsch
liegen, sich dann aber wieder in die Verschwörungsszene geflüchtet haben, weil
sie nicht zugeben konnten, welchem Irrtum sie aufgesessen sind.
umgegangen, wie Sie damals mit ihrer Freundin?
erst klar, als man mich selbst fertig gemacht hat, nachdem ich meinen Ausstieg
öffentlich gemacht hatte. Ich habe sogar Morddrohungen bekommen und bekomme bis
heute welche.